Famulaturbericht 2007

Der Plan, eine Auslandsfamulatur zu absolvieren, hatte sich eigentlich schon in der Vorklinik in unseren Hinterköpfen eingenistet. Die Idee ist verlockend: Einen neuen Ort auf dem Globus kennen lernen, den zahnmedizinischen Erfahrungsschatz vergrößern, und dann noch etwas Urlaub dranhängen?! Famulaturberichte im Internet und Vorträge von Famulanten höherer Semester taten ihr übriges, um uns bald nach dem Physikum zu dem Entschluss kommen zu lassen: Das machen wir auch! Die Frage nach dem „wo“ allerdings war nicht gar so leicht zu beantworten. Eine ganze Reihe an Bewerbungen schickten wir nach Südostasien, auf die verschiedensten Inseln im Indischen Ozean oder Südpazifik und nach Tansania. Zurück kamen ein paar Absagen, in den meisten Fällen aber erfolgte keine Antwort. Umso größer war die Freude, als wir den Kontakt zum Münsteraner Verein JINO e.V. hergestellt hatten. Der Verein unterstützt seit langem verschiedene zahnmedizinische Projekte des Benediktinerordens in Tansanias Südwesten und vermittelt auch Famulanten dorthin. Nachdem wir uns dem Vereinsvorstand vorgestellt und uns gründlich über die Projekte informiert hatten, waren wir uns einig: Da wollen wir hin!
„Nach Afrika?? Na, dann pass mal auf, dass Du Dir da nichts holst!“ So oder ähnlich reagierten viele, denen wir von unserem Vorhaben erzählten. Zugegeben: Auch wir haben uns ein wenig Sorgen gemacht angesichts der Liste von Krankheiten, die in Europa kaum vorkommen, in Tansania aber eben schon: Malaria und Bilharziose als noch recht „harmlose“ Vertreter, Gelbfieber und die gefährlichen Hepatitiden, gegen die man sich aber ja immerhin impfen kann, und natürlich HIV, das in einigen Gegenden eine Durchseuchung von fast 50% erreichen soll. Dass in einem Krankenhaus die Infektionsraten tendenziell noch etwas höher liegen dürften, erscheint schlüssig.
So setzten wir während der Famulaturvorbereitung einen Schwerpunkt beim Schutz unserer Gesundheit. Das bedeutete unter anderem eine Reihe von Impfungen: Zusätzlich zu den deutschen Routineimpfungen wählten wir den Schutz vor Gelbfieber, Hepatitis A und B, Typhus, Tollwut und Meningokokken, außerdem Malariaprophylaxe. Die Abteilung für Zahnerhaltung der Marburger Zahnklinik stellte uns darüber hinaus dankenswerterweise Mundschutz, dicke Handschuhe und Desinfektionsmittel zur Verfügung.
Weiterhin galt es natürlich, möglichst viele Spendenmaterialien zu beschaffen. Das war nicht schwer: Sowohl einige Hersteller zahnmedizinischer Verbrauchsmaterialien versorgten uns mit Gütern, als auch Zahnärzte und -techniker, die wir kannten oder auf diesem Wege kennen lernten. Und nicht zuletzt die Marburger Abteilungen für Zahnerhaltung, -ersatz und Chirurgie sagten uns ohne Zögern Unterstützung zu. Zusätzlich beauftragte uns der Verein JINO, Geld und Material zu überbringen. Als weitaus größeres Problem zeichnete sich bald der Transport der Materialien ab: Praktisch alle Fluggesellschaften scheinen heutzutage zu knausern, wenn es um Übergepäck geht. Der caritative Zweck konnte keinen unserer Ansprechpartner so recht beeindrucken. Nach langem Lamentieren gelang es, bei Qatar Airways 10kg zusätzliches „Trekkinggepäck“ pro Person herauszuhandeln.
So ging es Anfang August, nachdem wir das siebte beziehungsweise achte Semester abgeschlossen hatten, also los. Tansania liegt glücklicherweise nur zwei Zeitzonen „vor“ Deutschland, so dass der Flug nach Dar Es Salaam zwar lang und anstrengend war, uns der „Jet Lag“ aber immerhin erspart blieb. Am dortigen Flughafen wurden wir zum ersten mal mit der tansanischen Lebensweise und dem inoffiziellen Staatsmotto konfrontiert: Pole, pole! Langsam, langsam! Nach nicht einmal zwei Stunden hielten wir unser Visum in Händen und konnten den Zoll passieren. Dieser zeigte glücklicherweise kein Interesse an unserem Gepäck, so dass wir mitsamt den Spendenmaterialien von unserer „zahnmedizinischen Bezugsperson und persönlichen Bertreuungsnonne“, Sr. Hifadhi, sehr herzlich in Empfang genommen werden konnten. Die erste Nacht verbrachten wir in einem Gästehaus des Ordens in Dar Es Salaam, bevor es im Morgengrauen des nächsten Tages per Bus nach Songea ging. Zwölf Stunden dauerte die Fahrt quer durchs Land, das sich als landschaftlich ausgesprochen vielseitig erwies. Die einzige Konstante waren die Hühner, die in Tansania wirklich allgegenwärtig sind. Von Songea war es nicht mehr weit bis zur ersten Station unserer Famulatur, dem kleinen Benediktinerconvent in Matogoro. Dieser besteht aus einem „Dispensary“, was sozusagen ein kleines Krankenhaus ist, einem Kindergarten und einem Wohnhaus, in dem eine Handvoll Schwestern untergebracht ist, die die Station am Laufen hält. Wir bezogen ein kleines Zimmer im Kindergartengebäude und fielen völlig kaputt in die Betten. Am nächsten Morgen zeigte Sr. Hifadhi uns die Station und gab uns eine Führung durch das kleine Dorf Matogoro.
Der darauf folgende Tag war unser erster Arbeitstag in der Zahnstation des Conventes. Diese besteht aus drei unterschiedlich intakten Behandlungsstühlen, von denen zwei lediglich für Extraktionen genutzt werden. Der dritte ist mit einer mobilen Cart-Einheit ausgerüstet, die wassergekühlte Winkelstücke, Sauger und sogar einen Ultraschallscaler beinhaltet. Weiterhin gibt es ein kleines Techniklabor, obgleich die Prothetik nach deutschem Verständnis noch ein wenig in den Kinderschuhen steckt: Die meisten Prothesen erfüllen nur ästhetische Zwecke und werden ohne Artikulator hergestellt, mitunter sogar ohne Gegenkiefer.
Völlig ausgereift und wohl den meisten deutschen Zahnärzten überlegen hingegen sind Sr. Hifadhis Fertigkeiten, was Extraktionen anbelangt. Diese spielen in der tansanischen Zahnmedizin leider immer noch die Hauptrolle. Der Tag lief also üblicherweise so ab: Morgens war die „Wartehütte“ der Zahnstation prall gefüllt, ebenso wie der davor liegende Rasen. Die ersten acht Extraktionspatienten wurden nacheinander hineingerufen, bekamen ihre Lokalanästhesie (jeder aus einer neuen, sterilen Spritze, was nicht unbedingt selbstverständlich ist), und wurden wieder hinausgebeten. Nach der achten Injektion wurde der erste Patient zur Extraktion hereingeholt, und so weiter. Viele Patienten entscheiden sich bei Zahnschmerzen (die den einzigen Grund für den Zahnarztbesuch darstellen) lieber für eine Extraktion, die etwa ein Viertel einer Füllung kostet. Insofern war es natürlich oft ärgerlich, einen Zahn ziehen zu müssen, der mit Leichtigkeit hätte gefüllt werden können. Dennoch kamen auch hin und wieder Füllungspatienten hinzu, eigentlich sogar überraschend viele. Diese wurden dann bevorzugt uns überlassen und unsere Arbeit aufmerksam beobachtet. So hatten wir das Gefühl, im Umgang mit Kompositen und den entsprechenden Adhäsivsystemen den einen oder anderen Trick vermitteln zu können.
Die Arbeit dauerte in der Regel bis 16 Uhr, so dass bis zum Sonnenuntergang um 18.30 Uhr noch etwas Zeit war, die wir mit kurzen Wanderungen in der Umgebung oder Erledigungen im nahe gelegenen Songea verbrachten. Natürlich musste auch hin und wieder Wäsche gewaschen werden, und zwar von Hand, was uns am Anfang gar nicht so leicht fiel. Vielfach wurden wir wegen unserer mangelhaften Technik von den Nonnen liebevoll-spöttisch oder mitleidig angeguckt. Manche boten uns sogar Hilfe an, was wir aber stets dankend ablehnten, schließlich mussten wir es ja lernen.
Der Aufenthalt in Matogoro dauerte zehn Tage, dann ging es mitsamt Sr. Hifadhi ins „Hauptquartier“ der örtlichen Benediktinerinnen nach Chipole, was ebenfalls in der Umgebung von Songea liegt. Chipole ist ein recht ansehnliches Kloster, fast eigentlich eine kleine Stadt, die sich beinahe komplett selbst versorgt, sogar mit Strom per eigenem Wasserkraftwerk. Neben der Nahrungsmittelproduktion inklusive Mühle und Wurstherstellung gibt es einen Schuhmacher, eine Näherei, eine Strickerei, Tischlerei, Autowerkstatt und einen kleinen Laden. Und natürlich eine Kapelle von durchaus beeindruckender Größe. Die Zahnstation ist etwas kleiner als in Matogoro, es wurden ausschließlich Extraktionen vorgenommen. Glücklicherweise konnten wir eine der oben beschriebenen Cart-Einheiten mitbringen, so dass wir auch Füllungstherapie betreiben konnten. Das war auch nötig, denn die Schwestern in Chipole unterhalten unter anderem zwei Schulen, deren Schülerinnen teilweise dringend Behandlung brauchten.
Auch in Chipole verbrachten wir zehn Tage, bevor es schließlich nach Peramiho weiterging. Peramiho ist die ursprüngliche Abtei der Missionsbenediktiner in Tansania, und, wie manche meinen, der Ursprung des Christentums in Ostafrika. Angeschlossen an das Kloster ist ein Krankenhaus, das die gesamte Region versorgt und zu den führenden im Lande gehört. Ebenfalls führend im Lande ist die Zahnstation des Krankenhauses: Immerhin fünf Einheiten und ein Behandlungsspektrum von Extraktionen über Füllungen und Prothetik (sogar Modellguss) bis hin zu kleineren oralchirurgischen Eingriffen. Das mit JINO-Unterstützung eingerichtete Techniklabor ist in Tansania einmalig, und jeder Student der zahnmedizinischen Fakultät in Dar Es Salaam muss hier einmal ein Praktikum absolviert haben. Für uns gab es reichlich zu tun: Natürlich viel zu viele Extraktionen, aber auch Füllungen, die mit einer „richtigen“ KaVo-Einheit natürlich gleich viel mehr Spaß machen. Untergebracht waren wir im Gästehaus der Benediktiner, wo außer uns auch zwei humanmedizinische Famulantinnen und zwei sogenannte Senior Experts wohnten, zwei deutsche Chefärzte im Ruhestand, die jetzt hier für ein paar Wochen den Betrieb unterstützten. So gewannen wir auch Einblicke in die nicht-dentalen Aspekte des tansanischen Gesundheitswesens.
Nach weiteren zwei Wochen war dann der zahnmedizinische Teil unserer Reise abgeschlossen, und wir begaben uns auf eine Rundreise durchs Land. Erste Station war, noch in Begleitung von Sr. Hifadhi, der verschlafene kleine Strand- und Fischerort Mbamba Bay am Nyasasee. Von hier ging es per 20-stündiger Fährfahrt an die Nordspitze des Sees, nach Matema, wo wir uns am Strand von den Reisestrapazen der letzten Tage erholten. Dann fuhren wir in zwei Etappen nach Iringa, von wo aus wir eine Safari im Ruaha Nationalpark unternahmen. Nashörner sind hier leider von Wilderern ausgerottet worden, aber die Vielzahl an verschiedenen Antilopen, Elefanten, Giraffen, Zebras und, als i-Tüpfelchen, sogar einigen Löwen und Hyänen, bot einiges fürs Auge und die Kamera.
Nächste Station war der Udzungwa Nationalpark. Dies ist ein kleines, regenwaldbewachsenes Gebirge, das einige wunderschöne Wanderungen ermöglicht. Vier Tage lang wanderten wir durch den Urwald und sahen neben vielen Affen und ein paar Hirschen auch einen Elefanten auf Augenhöhe, was noch ein bisschen aufregender ist, als aus dem „sicheren“ Geländewagen heraus.
Schließlich führte unsere Reise uns über Dar Es Salaam per Fähre nach Sansibar. An dessen Ostküste liegt der winzige Ort Jambiani, wo wir uns abschließend noch vier Tage Urlaub am perfekten Strand gönnten. Auf dem Rückweg legten wir noch einen Übernacht-Zwischenstop in Sansibars romantischer „Hauptstadt“, Stone Town, ein, bevor wir uns wieder nach Dar Es Salaam und von dort aus gen Heimat begaben.
Ein Resümee ziehend, müssen wir sagen, dass die Reise nach Afrika ein ziemlicher Sprung ins kalte Wasser war. Wer noch nicht da war, wird sich an die dort herrschende Armut erst gewöhnen müssen. Wenn auch die meisten Menschen genug zu essen haben, so leben doch viele in Lehmhütten ohne Strom, und oft gibt es nur einen Wasserhahn/ Brunnen pro Dorf. Schlecht ist auch die Gesundheitsversorgung, zumal kaum jemand so etwas wie eine Krankenversicherung hat. Infolgedessen unterbleiben regelmäßig auch überlebenswichtige Operationen, die ungefähr so viel kosten, wie ein Mittagessen in Deutschland, weil der Patient sie nicht bezahlen kann. All das bedeutet allerdings nicht, dass automatisch alle Menschen dort unehrlich oder gar kriminell seien. Zwar hört man allgemein von zunehmender Kriminalität in Tansania, aber verglichen mit den meisten anderen afrikanischen Ländern ist es dort wohl ziemlich sicher. Wir sind jedenfalls nicht beklaut oder sonst in Mitleidenschaft gezogen worden.
Gewöhnungsbedürftig war auch, dass man als Weißer automatisch Blicke auf sich zieht und die Leute auf der Straße mitunter stehen bleiben, um einen regelrecht anzustarren. Niedlich ist das natürlich bei Kindern, die entweder vor einem wegrennen oder, sofern mutig genug, in Grüppchen am Straßenrand stehen und „mzungu! mzungu!“ („Weißer, Weißer“) rufen.
Überrascht hat uns weiterhin die Lebensfreude, mit der auch die ärmsten Menschen im Angesicht ihres Elends ihr Leben meistern. Trotz aller Widrigkeiten feiern sie, sind fröhlich, und die zahlreich besuchten Gottesdienste haben teilweise Festcharakter.
Zahnmedizinisch hat die Famulatur mit Sicherheit das gehalten, was wir uns von ihr versprochen hatten. Reichlich Extraktionen durften wir durchführen, aber eben auch Füllungen und sogar einige professionelle Zahnreinigungen. Unter dem Strich können wir eine Auslandsfamulatur, gerade auch in Tansania, definitiv empfehlen. Nicht nur wegen der zahnmedizinischen Aspekte ist es für uns eine sehr wertvolle Erfahrung gewesen. Sinnvoll ist es, die Sache zu zweit anzugehen, denn es war schon beruhigend, sich mit dem Mitfamulanten unterhalten zu können, um sich nicht gar so allein zu fühlen. Außerdem war es ein großer Vorteil, über JINO vermittelt worden zu sein. Zum einen hatten wir im Voraus die Möglichkeit, uns aus erster Hand zu informieren, und wir hatten vor Ort von Anfang an Bezugspersonen, die uns ein wenig an der Hand genommen haben. Wer sich für eine Famulatur in Tansania interessiert, dem sei die Website des Vereines unter www.jino.de empfohlen. 

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