Der Vollmond scheint auf die Dachterrasse des Hotels in Stone Town auf Sansibar. Es ist Ende
September und die Kühle des Abends und ein leichter Wind sind sehr angenehm. Ich lasse die letzten
Wochen revue passieren. Mein Hauszahnarzt engagiert sich für die „Stiftung Hilfswerk deutscher
Zahnärzte für Lepra- und Notgebiete“. In seiner Praxis im Wartezimmer liegt ein Ordner und es gibt einen
Schaukasten, die die verschiedenen Projekte in Ländern Afrikas,Asiens, Lateinamerikas und Europas näher bringen.So hat sich der Gedanke in meinem Kopf bereits zu Beginn des Studiumseingenistet, dass ich im Rahmen einer Famulatur ein Land kennenlernen möchte – am liebsten in Afrika.Nach einiger Recherche lernte ich den JINO e.V. aus Münster kennen.
Zunächst standen einige Vorbereitungen an. Der Verein macht es zum Glück möglich den Kontakt zu
ehemaligen Famulanten aufzunehmen, was einiges erleichtert.
Schließlich saß ich im Flugzeug Richtung Dar es Salaam mit Kompositspenden, die für die Füllungstherapie benötigt werden, allerlei praktischer Dinge wie Taschenmesser, Moskitospray, Wäscheleine und Taschenlampe und mit der kribbeligen Frage, was da wohl auf mich zukommen wird. Meine Erfahrungen sowohl im zahnmedizinischen Bereich als auch im Allgemeinen in Tansania sind sehr bereichernd für mich.
Die Zahnstation in Peramiho/Songea ist Teil des St.Joseph's Mission Hospital und steht unter Leitung
der Missionsbenediktiner. Zu der Zahnstation kommen täglich bis zu 30 Patienten (montags mehr, dann bis
zum Freitag weniger). Die meisten Patienten kommen wegen starker Schmerzen – teilweise von weither angereist, um sich den „Übeltäter“ ziehen zu lassen… sicherlich ist der sehr verbreitete Genuss von Süßgetränken mitverantwortlich. Als ich bei Tansaniern zum Essen eingeladen war und auf die Frage, was ich trinken wolle um „Maji“ (=Wasser) bat, wurde nur mit dem Kopf geschüttelt und mir stattdessen eine Auswahl von Cola, Fanta, Mirinda und Co. vorgeführt. Für einen Tagesbesuch im St.Joseph's Mission Hospital zahlen Nicht-Versicherte 1000 TSh (ca. 50 Cent/ ½ Durchschnittstageslohn). Wird ein Zahn gezogen kostet dies ca. 2000 TSh (in Dar es Salaam wird i. d.
R. mehr verlangt). So war z. B. eine Patientin mit fünf extraktionswürdigen Zähnen da, die nur Geld für die
Extraktion von drei Zähnen aufbringen konnte. Ist der Zahn weniger zerstört, werden auch Füllungen und CP-Behandlungen durchgeführt, wenn der Patient das nötige Geld aufbringen kann/möchte (ca.5000 TSh / in Dar 10 000 TSh). Ich selber machte ungefähr sechs Füllungen. Auch Wurzelkanalbehandlungen werden durchgeführt. Ich habe während der gut drei Wochen eine WKB mitbekommen. Während dieser Behandlung kam ein Gruppe der neuen Schüler der Krankenpflegeschule vorbei, die völlig verblüfft waren, dass es nicht nur die Extraktion eines Zahnes als Therapie gibt. Als sich ein Patient Anfang dreißig mit Parodontitis vorstellte, weil seine Zähne sehr locker waren und vorgeschlagen wurde eine professionelle Zahnreinigung für 40 000 TSh durchführen zu lassen, musste er ungetaner Dinge wieder abreisen, weil der Preis zu hoch war und es ihm auch nicht möglich gewesen wäre mehrmals wieder zu kommen, um erneut die Zähne reinigen zu lassen. So begann der Behandlungstag in Peramiho für mich mit den Worten „kaa“(=hinsetzen), „uma wapi?“ (=Wo schmerzt es?), „Fungua mdomo“ (=Lippen öffnen); nach der Leitungsanästhesie – interessanterweise muss man als deutsche Zahnmedizinstudentin beachten, dass man bei Tansaniern für die LA des Nervus alveolaris inferior weiter kranial injizieren muss – „subiri inje“ (=draußen warten). Nach ca. 10 Patienten kann der erste wieder zur Extraktion rein kommen. Dann „tema“ (=ausspucken) und „tayari“ (=fertig). Klappte die Extraktion reibungslos, bedankten sich die Patienten mit einem „Asante“. Gelegentlich kam es auch vor, dass eine junge Mutter ihr Kind während der Behandlung auf dem Arm hatte und das neugierige 1 ½ Jährige ständig gegen die Spritze griff und sich wunderte, was die „Mzungo“ da mit der Mama machte. Einer der Zahnärzte ist sehr interessiert an der Behandlung mit Kindern. So versucht er die Kinder jedes Mal mit Small Talk zu entspannen, dann erzählt er, dass sie kurz die Augen schließen sollen, dann gibt er die Spritze, damit die „meno lala“ (=Zähne schlafen) können. Er brachte mich auch mehrmals dazu zu versuchen die Kinder so entspannt zu behandeln, was bei dem „kidogo Kiswahili“ meinerseits leider kaum möglich ist – mal ganz abgesehen davon, dass einige kleine Kinder doch sehr irritiert sind eine Weiße (Mzungo) zu sehen. Ein Anästhesist in Deutschland erzählte mir mal, dass immer die verwöhnten Kinder wie am Spieß schreien bevor überhaupt irgendetwas passiert ist. Nun bin ich mir aber sicher, dass es nicht an der Verwöhntheit
liegt, denn tansanische Kinder schreien manchmal auch und sind nicht verwöhnt.
Die zuständigen Zahnärzte teilten sehr bereitwillig und offen ihr Wissen über den Umgang mit den
Extraktionsinstrumenten und halfen mir bei Schwierigkeiten. Einer der Ärzte erklärte mir auch: „When you
can extract these roots: YOU ARE THE DENTIST!“, um mich regelmäßig zu ermuntern auch schwierige Fälle zu behandeln.
In Peramiho wohnte ich im Gästehaus, was als allein reisende Famulantin sicherlich am angenehmsten ist, da regelmäßig Gäste auf der Durchreise sind oder andere freiwillige Helfer aus Europa da sind, z. B. zwei Zivis, eine Abiturientin oder zwei Biologinnen aus Belgien… so hat man immer Unterhaltung. Auch das gesamte Hospital (sehr groß – ca. 400 Betten) und das Gelände der Abtei konnte ich während zweier Führungen kennenlernen und sehen, woher die Eier und das übrige Essen kommen, das ich jeden Tag aß. Abends konnte ich oft noch entspannt ein „baridi Kilimanjaro“ im Doctors‘ Club genießen. Aber ich verbrachte die Zeit während der Famulatur nicht nur in Peramiho. Schwester Hifadhi, die in engem Kontakt mit JINO e. V. steht, zeigte mir mehrere Dental Units und erzählte mir über ihre Arbeit. In Songea/Matogoro war sie für lange Zeit tätig. Dort kann nun eine andere Schwester ihre Arbeit übernehmen. Sr. Hifadhi ist momentan dabei in der immer weiter wachsenden Metropole Dar es Salaam im
schönen Stadtteil Kitunda eine Dental Unit in einem Health Center mit Hilfe von JINO aufzubauen. Mit dem
Geld, was sie dort einbringt, soll ihrer Vorstellung nach erst der Kredit für das Health Center zurückgezahlt werden und dann ein neuer Raum für die Zahnstation in Chipole (St.Agnes Kloster) gebaut werden. Außerdem ist es ihr Traum eine komplett neue Zahnstation in Mambabay am Malawisee zu schaffen, denn dort haben die Menschen weit ab vom Schuss, keine Möglichkeit ihre Zahnschmerzen schnell behandeln zu lassen. Sie hat große Pläne und ist sehr engagiert. Große Sorgen macht ihr die zukünftige zahnmedizinische Versorgung in Chipole, da dort ein europäisches Helferteam momentan eine neue Dispensary vor das Kloster baut. Allerdings haben die fleißigen Helfer keine Zahnstation eingeplant. Jetzt hat die Schwester Sorgen, dass der Behandlungsstuhl ungenutzt in der alten Dispensary verrottet. Neben den zahnärztlichen Erfahrungen ist meine Famulatur auch sehr gut gewesen, um die Tansanier kennen zu lernen, wie es während eines normalen Urlaubs sicherlich nicht möglich gewesen wäre. Die meisten Tansanier sind sehr offen; während eines Gottesdienstes in Kitunda (Gottesdienste in TZ bedeuten volle Kirchen), sollte ich zur Freude aller anderen Anwesenden – besonders der vielen kleinen Kinder – nach vorne kommen und mich vorstellen. Anschließend lud mich eine junge Frau direkt zu ihrer Familie nach Hause zum Ugali-Essen und Pepsi trinken ein. Ansonsten passen die Ausdrücke „Pole pole“ (=langsam / immer mit der Ruhe) und „Hakuna matata“ (…es heißt die Sorgen bleiben dir immer fern…) bzw. „Hakuna chinda“ (=“keine Jagd“) sehr gut zum Alltag in Tansania. Obwohl die Verhältnisse oft sehr arm sind, nehmen die Menschen vieles ziemlich locker und genießen den Augenblick.
Nachdem ich mich gut vier Wochen intensiv mit der Zahnmedizin in Tansania auseinander gesetzt habe, kam mir natürlich sehr gelegen das Land doch noch als Touristin kennen zu lernen. Ich nutzte die Chance und machte ein paar Tage Badeurlaub am Indischen Ozean und sah den Fischern bei der Arbeit in Bagamoyo zu. Ich sah die wilden Tiere im Mikumi-Nationalpark – sehr beeindruckend zu sehen wie Löwen neben ihrem erlegten Büffel liegen und verdauen (auch die Gerüche – unvorstellbar). Und nun sitze ich auf der luftigen Dachterrasse und lausche den Geräuschen des späten Abends – „Pikipikis“ (=Mopeds), die durch die Gassen Stone Towns sausen